Bauernproteste in Indien: Mit Traktoren an die Kampflinie

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Indische Polizisten feuern am Mittwoch in der Nähe von Shambhu Tränengas auf protestierende Bauern

Männer mit Turbanen flüchten geduckt aus den Rauchschwaden. Über ihnen kreisen Drohnen. Die Fluggeräte werfen offenbar Tränengasbehälter ab, die mit lautem Knall am Boden explodieren. Einige der Männer halten sich Tücher vor Mund und Nase, andere haben sich mit Mundschutz, Schutzbrille und Gasmasken auf die Angriffe aus der Luft vorbereitet. Mit Kopfhörern und Ohrstöpseln versuchen sie, ihr Gehör vor den Explosionen zu schützen. Ihre Traktoren und Anhänger haben sie hinter der Kampflinie abgestellt. Die Polizei hatte sie aufgefordert, aus Sicherheitsgründen auf den Einsatz von Baggern und Bulldozern zur Entfernung der Straßensperren zu verzichten. Zudem sollten Frauen, Kinder und Senioren nicht näher als einen Kilometer an den Ort der Auseinandersetzungen herankommen.

Bei den Männern, die in den Videos der Bauernproteste nahe der indischen Hauptstadt Neu Delhi zu sehen sind, handelt es sich um Bauern aus den Bundesstaaten Punjab und Haryana, den Kornkammern Indiens. Sie haben sich durch die gewalttätigen Auseinandersetzungen bisher nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Ihr Ziel ist ein „Dilli Chalo“, ein „Marsch auf Delhi“, wie sie ihren Protestzug in die Hauptstadt getauft haben. Mit dem Marsch wollen sie ihre Forderungen nach staatlich garantierten Mindestpreisen für alle ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse, Schuldentilgungen und besseren Renten durchsetzen. Nach Jahren stagnierender Einkommen, schrumpfender Ländereien, wachsender Schulden und einer bedenklich hohen Suizidrate unter Bauern wünschen sie sich ein besseres Leben.

Ein Toter nach einer Kopfverletzung

Die Bauern sind in Indien trotz der prekären Lebensumstände allein schon aufgrund ihrer Anzahl ein großer Machtblock. Rund zwei Drittel der mehr als 1,4 Milliarden Inder sind noch immer direkt oder indirekt von der Landwirtschaft abhängig. Dabei trägt der Agrarsektor nur noch etwa 18 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei. Mehr als 250 Bauerngewerkschaften sollen sich deshalb dem Protest angeschlossen haben. Auch die Opposition stellt sich demonstrativ hinter die Protestbewegung. Der Chef der Kongresspartei, Mallikarjun Kharge, bezeichnet ihre Forderungen als „angemessen“. Die Regierung von Ministerpräsident Narendra Modi zeigt sich davon unbeeindruckt. Sie sitzt fest im Sattel. Es gilt als sehr sicher, dass Modi bei der Parlamentswahl von April bis Mai zu seiner dritten Amtszeit wiedergewählt wird.

Doch davon wollen sich die etwa 14.000 Bauern, die an dem Protest im Grenzgebiet der Bundesstaaten Punjab und Haryana beteiligt sind, nicht abschrecken lassen. Sie verlangen, in das Hauptstadtgebiet gelassen zu werden. Die Behörden wollen davon nichts wissen. Sie haben für einen Monat alle Massenversammlungen in dem Gebiet für illegal erklärt. Betonsperren, Stacheldraht und Schiffscontainer versperren rund 200 Kilometer vor Neu Delhi den Weg. Rund 4800 Polizisten sollen im Grenzgebiet Shambhu im Einsatz sein. Außer Tränengas sollen auch Gummigeschosse eingesetzt worden sein. Es gibt Anschuldigungen, wonach in der vorigen Woche sogar mit Schrot geschossen wurde. Auch am Mittwoch kommt es der indischen Presse zufolge zu zahlreichen Verletzten. Ein Mann stirbt an den Folgen einer Kopfverletzung.

Bauern bereit, notfalls „zu sterben“

Nach den Zusammenstößen vor einer Woche hatten die Bauern eine Protestpause eingelegt und an den Grenzen der Bundesstaaten gecampt. Doch auch die mittlerweile vierte Verhandlungsrunde hatte am vergangenen Sonntag nicht das von ihnen erhoffte Ergebnis gebracht. Die Regierung hatte angeboten, für fünf Jahre Hülsenfrüchte, Mais und Baumwolle zu einem garantierten Mindestpreis erwerben zu wollen. Den Protestanführern nach lag dies aber nicht „im Interesse“ der Bauern. Mindestpreise gibt es bisher vor allem für Reis und Weizen, was zu einer Überproduktion dieser Produkte geführt haben soll. Es lohnt sich aber kaum, andere landwirtschaftliche Produkte anzubauen. Die Bauern werden zudem von wetterbedingten Ernteausfällen geplagt. Rund die Hälfte der Bauern ist verschuldet.

Die Bauernvertreter hoffen trotzdem, die Regierung vor der Wahl unter Druck setzen zu können. Sie versuchen, an die massiven Proteste anzuknüpfen, die vor mehr als drei Jahren die Hauptstadt teilweise lahmgelegt hatten. Damals hatten die Bauern gegen die Einführung von mehreren Gesetzen zur Liberalisierung des Markts für landwirtschaftliche Produkte protestiert. Diese Gesetze hätten die bestehenden Mindestpreise aufgeweicht und den Großhändlern mehr Marktmacht zugestanden. Die Regierung Modis hatte dem Druck der Straße nach rund einem Jahr schließlich nachgegeben und die Gesetze zurückgenommen.

Am Mittwoch hat der Landwirtschaftsminister Arjun Munda die Protestanführer abermals zu Gesprächen aufgefordert. Sie konnten sich zunächst nicht einig werden, ob sie darauf eingehen wollten. Der Bauernführer Sarwan Singh Pandher sagt, es seien schon alle Streitpunkte erschöpfend dargelegt worden. Er versichert, dass die Proteste friedlich bleiben sollen. Gleichzeitig gibt er sich kämpferisch. Er sagt, die Bauern seien auch bereit, „im Interesse der Nation zu sterben“.

Source: Bauernproteste in Indien: Mit Traktoren an die Kampflinie (msn.com)

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