»Die Bauern haben sich zusammengetan«

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Aus: Ausgabe vom 21.12.2020, Seite 8 / Ausland Bauernbewegung in Indien

Indien: Bauernbewegung protestiert gegen neue neoliberale Agrargesetzgebung. Ein Gespräch mit R. Ramakumar Interview: Silva Lieberherr und Bhakti G.

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Danish Siddiqui/REUTERS Demonstration indischer Bauern in der Nähe von Delhi (16.12.2020)

R. Ramakumar ist Ökonom, Professor am Tata Institute of Social Sciences in Mumbai und Mitglied des Planungsausschusses der Regierung von KeralaSie bezeichnen die aktuellen Proteste als einen historischen Moment für die indische Bauernbewegung. Was ermöglichte die große Mobilisierung?

Seit die Regierung von Narendra Modi 2014 antrat, gab es viele Bauernproteste. Erst versuchte die Regierung, den Landerwerb für private Unternehmen zu erleichtern. Dann kamen Beschränkungen für den Viehhandel. Die plötzliche Entwertung kleiner Geldscheine ließ die Agrarpreise abstürzen. Es kam die Mehrwertsteuer auf Dünger und Pestizide. Die Bauern bauten eine enorme Wut gegen die Regierung auf. Die teilweise zersplitterten Bauernorganisationen haben sich zusammengetan und lose Kollektive gebildet. Diese Erfahrungen und Strukturen kamen gelegen, als die Regierung im September drei neue Agrargesetze verabschiedete. Die aktuellen Proteste haben eine klare Forderung: Diese Gesetze müssen zurückgezogen werden.

Was macht diese Agrargesetze so wichtig für die Bauern?

Mit der »Grünen Revolution« in Indien in den 1960er Jahren wurde auch ein System von staatlich regulierten Märkten geschaffen, den sogenannten Mandis. Dabei kauft die Regierung den Bauern ihre Produkte zu einem garantierten Preis ab und verkauft sie zu einem niedrigeren Preis in sogenannten Rationierungsläden an die Bedürftigen. Die Bauern argumentieren, dass sie durch die neuen Gesetze den Zugang zu diesen öffentlichen Unterstützungsstrukturen verlieren würden. Schon mit der Liberalisierung der Agrarmärkte 1991 geriet dieses System unter Beschuss. Neoliberale Ökonomen argumentierten, die landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten müssten den Konzernen geöffnet werden. Aber für große Plantagen waren Landgesetze im Weg. Für Vertragsanbau, also direkte Abnahmeverträge der Firmen mit den Bauern, war das Mandi-System ein Hindernis. Die aktuellen Gesetze fördern nun den Handel außerhalb des Systems und drohen, es schließlich aufzulösen. Sie fördern auch direkt den Vertragsanbau. Die protestierenden Bauern sagen darum, dass die Gesetze die Macht der Konzerne in der Landwirtschaft stark vergrößern würden.

Welche Konzerne sind das?

Die Märkte für Pestizide, Dünger und Bewässerung sind schon seit den 1980er Jahren von großen Konzernen dominiert. Beim Saatgut zum Beispiel ist Monsanto/Bayer sehr präsent. Die neuen Gesetze erlauben es Konzernen nun, bei der Vermarktung von Landwirtschaftsprodukten tätig zu werden. So können Supermärkte direkt von den Bauern kaufen. Eine dieser großen Supermarktketten ist Reliance fresh, die der Familie von Mukesh Ambani gehört, einem der reichsten Inder. Bei den neuen Gesetzen geht es zudem um eine Liberalisierung bei den Lebensmittellagern. Das Unternehmen Adani Logistics, das der Regierungspartei nahesteht, hat kürzlich erhebliche Investitionen in diesem Bereich getätigt. Es kontrolliert 30 bis 50 Prozent der Kühllogistik.

Die meisten der protestierenden Bauern besitzen Land. Was ist die Position der Landarbeiter?

Wenn das Mandi-System abgeschafft wird, verlieren die Landarbeiter den Zugang zu den subventionierten Lebensmitteln in den Rationierungsläden. Und wenn private Unternehmen in die Landwirtschaft einsteigen, wird diese mechanisiert, und die Arbeiter verlieren ihren Job. Diese Ziele verfolgt die Regierung implizit mit diesen Gesetzen. Viele Gewerkschaften der Landarbeiter unterstützen darum die Forderungen der Protestierenden, auch wenn sie sich nicht direkt am Streik beteiligen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Bauernbewegungen angesichts der großen Unterschiede innerhalb der Landbevölkerung?

Für die große linke Bauernbewegung All India Kisan Sabha sind die Klassenunterschiede innerhalb der sogenannten Bauernschaft wichtig. Sie kämpft gegen die Ausbeutung der Kleinbauern durch die Großgrundbesitzer. Dazu gibt es die Unterdrückung der Kasten und der Frauen. Trotzdem versucht All India Kisan Sabha, themenbezogene Allianzen zu schaffen wie beispielsweise bei diesen Protesten, um den Imperialismus und die Privatisierung der indischen Landwirtschaft zu bekämpfen.

Source: https://www.jungewelt.de/artikel/392925.bauernbewegung-in-indien-die-bauern-haben-sich-zusammengetan.html

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